Ein halbes Leben im Angesicht des Todes 1990 in Arizona zum Tode verurteilt, aber vielleicht bald frei: die gebürtige Berlinerin Debra Milke (Quelle: dpa)
Fast ein halbes Leben saß ihr der Tod im Nacken. In ihrer engen Einzelzelle in der Wüste von Arizona stand er 22 Jahre mit der gebürtigen Berlinerin auf. Nachts verfolgte er die heute 49-jährige in ihren Träumen. Einmal musste sie die Exekution bereits in einem routinemäßigen Testlauf durchexerzieren. Sie wählte die Giftspritze und ihre Henkersmahlzeit. Dann musste sie zurück in die Zelle. Nicht tot - und doch leblos. "Ich bin nur noch dieser Körper, der ohne Seele existiert", sagte Debra Milke in einem Zeitungsinterview. Doch Häftling 83533 im Todestrakt des Staatsgefängnisses von Perryville bei Phoenix ist vor allem eine Mutter, deren vierjähriger Sohn ermordet wurde. Wegen Anstiftung zu der Tat wurde sie verurteilt. Als Opfer eines Justizirrtums könnte sie nun frei kommen: Ein Bundesberufungsgericht in San Francisco hat die 1990 verhängte Todesstrafe aufgehoben.
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Geständnis oder nicht? Dreh- und Angelpunkt ist ein zweifelhaftes Geständnis. Es war die Basis für ihr Todesurteil. Doch die Angeklagte will es nie gegeben haben. Es gibt keine Tonaufnahme, kein Protokoll, lediglich den Gedächtnisbericht eines Ermittlers, der der Polizei als notorischer Lügner unter Meineid bekannt war. Zwei Jahrzehnte brauchte ein Berufungsgericht, um das aufzulösen. "Kein zivilisiertes Justizsystem sollte auf solch zweifelhaften Beweise angewiesen sein, wenn über Tod oder Freiheit eines Menschen urteilt", so Richter Alex Kozinski.
Debra "Debbie" Milke hat stets ihre Unschuld beteuert. Doch für die Öffentlichkeit wurde sie schnell das Monster, das kaltblütig sein Kind aus dem Weg räumt. Es geschah am 2. Dezember 1989: Vor ihrer ärmlichen Appartementsiedlung in Phoenix setzt die alleinerziehende Mutter den herausgeputzten Christopher in ihr Auto. Ein befreundeter Mitbewohner und sein Kumpel wollen den Vierjährigen angeblich zum "Weihnachtsmann" in einem Einkaufszentrum fahren.
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Kind an Flusslauf erschossen Doch das tatsächliche Ziel des Vietnam-Veteranen und seines Begleiters ist ein trockener Flusslauf in der Wüste. Dort strecken sie das Kind aus nächster Nähe mit drei Schüssen in den Hinterkopf nieder. Christopher wird als "vermisst" gemeldet.
30 Stunden später gesteht einer der Männer. Und belastet die Mutter des Kleinen. Sie habe die Männer zu der Tat angestiftet, weil sie der Junge zu sehr an ihren verhassten Ex-Mann erinnert habe. Aus Christophers Lebensversicherung habe sie den Schützen einen Anteil als Lohn versprochen. Keiner der Männer bestreitet die Tat. Auch sie erhalten die Todesstrafe. Wer letztlich schoss, bleibt ungeklärt.
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"Ich bin unschuldig" "Ich bin nicht die Abscheuliche, nicht die Verdorbene, nicht die Grausame", sagte Milke der Lokalzeitung "New Times". "Ich bin unschuldig." Frühere Begleiter erinnern sich ungläubig an die brave und emsige College-Studentin.
Die am 10. März 1964 in Berlin geborene Tochter einer Deutschen und eines amerikanischen Luftwaffensoldaten war in den 1970er Jahren nach Phoenix gekommen. Die Familie war zerrissen. Zwischen den Eltern gab es Streit, zwischen Debra und ihrer Schwester Rivalität. Als sich die Eltern trennten, blieb Debra bei ihrer Mutter. Dann zog die Mutter zurück nach Deutschland. Debra, die nach Angaben des Auswärtigen Amtes in Berlin keine deutsche Staatsbürgerin ist, arbeitete als Sekretärin bei einer Versicherung und heiratete Christophers Vater Mark. Einen Raufbold, der öfter im Gefängnis saß. Sie trennte sich von ihm.
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Prominente kämpfen für Debra Nach Aussagen ihrer Schwester Sandy in der "New Times" habe Christopher schließlich einer neuen Verbindung zu einem anderen Mann im Wege gestanden. Doch Debras Mutter, die über ihre Tochter ein Buch geschrieben hat, berichtet darin von einer ständigen Rivalität zwischen den beiden Schwestern. Im Gerichtssaal sagte Sandy gegen ihre Schwester aus. Die Mutter hielt jedoch zu Debra. Seit Jahren kämpfen sie und Prominente wie Uschi Glas, Günther Jauch oder Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker für Debra Milke.
Deren blonde Lockenpracht ist inzwischen grau geworden. Die einst strahlenden Augen stumpf. "Es kommt der Punkt, da tut es so weh, dass ich mich übergeben muss", sagte Debra Milke US-Medien. Und als Reporter sie fragen, um wen sie eigentlich trauere - um sich oder ihr Kind - antwortet sie: "Um uns beide. Sein Tod ist die eine Sache. Angeklagt zu sein, etwas damit zu tun zu haben, ist genauso tragisch."
Quelle: dpa